Das Neuroblastom ist die dritthäufigste bösartige Krebserkrankung bei Kindern. Die Heilungschancen sind sehr unterschiedlich, insbesondere bei fortgeschrittenen Fällen wird der Tumor aber leider oft resistent gegen die Therapie und ist bereits bei Diagnosestellung metastasiert. Um die Behandlungsmöglichkeiten für diese Kinder zu verbessern, wollen Forschende unter Leitung der Charité – Universitätsmedizin Berlin in dem Sonderforschungsbereich „Entschlüsselung evolutionärer Mechanismen beim Neuroblastom" nun genauer untersuchen, wie ein solcher Tumor eigentlich entsteht und sich weiterentwickelt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Vorhaben für zunächst knapp vier Jahre mit rund 13,5 Millionen Euro.
Neuroblastome sind Tumore, die sich häufig im Bauchraum oder entlang der Wirbelsäule entwickeln. Sie entstehen dadurch, dass bestimmte Zellen des Nervensystems sehr früh in der Körperentwicklung entarten – möglicherweise bereits vor der Geburt. Deshalb sind vor allem Kleinkinder bis zu einem Alter von sechs Jahren und manchmal sogar Neugeborene betroffen. Charakteristisch ist, dass Neuroblastome stark unterschiedliche klinische Verläufe zeigen: Manche bilden sich spontan zurück, andere wachsen sehr aggressiv. Die aggressiven Formen lassen sich zwar oft zunächst erfolgreich behandeln, kehren aber in vielen Fällen wieder zurück und streuen auch in andere Organe. Das ist der Grund dafür, dass noch immer mehr als die Hälfte der Kinder mit einem Hochrisiko-Neuroblastom ihre Erkrankung nicht überleben.
„Um die Heilungschance dieser Kinder zu erhöhen, müssen wir besser verstehen, was genau im Tumorgewebe im Verlauf der Therapie passiert", sagt Prof. Dr. Angelika Eggert, Direktorin der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie an der Charité und Sprecherin des jetzt für drei Jahre und neun Monate bewilligten Sonderforschungsbereichs. „Sobald wir die Treiber der Neuroblastom-Evolution kennen, wollen wir darauf abzielend neue Therapien entwickeln. Unser Ziel ist, in Zukunft für jeden individuellen Fall abschätzen zu können, wie die Krankheit verlaufen wird, und dann mit passgenauen Therapien eine Rückkehr des Tumors zu verhindern."
Die Forschenden gehen davon aus, dass verschiedene Zelltypen im Gewebe eines jeden Neuroblastoms ihre Eigenschaften auf unterschiedliche Art und Weise verändern, wenn sie Krebsmedikamenten ausgesetzt sind oder sich in andere Körperbereiche bewegen. „Anders als bisher angenommen deuten neue Erkenntnisse darauf hin, dass die Tumorzellen nicht nur auf genetischem Wege evolvieren, sich also nicht nur Fehler im Erbgut anhäufen", erklärt Prof. Eggert, die auch Sprecherin des Standorts Berlin im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) und Co-Direktorin des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Berlin ist. „Stattdessen gibt es offenbar zusätzliche nichtgenetische Faktoren, die das Verhalten der Tumorzellen beeinflussen, wie zum Beispiel chemische Veränderungen an Proteinen."
Um diesen ungewöhnlich komplexen Prozess der Tumorentwicklung im Detail zu untersuchen, plant der Forschungsverbund, Neuroblastom-Gewebe Zelle für Zelle umfassend zu analysieren. Mit neuesten Methoden wollen die Forschenden katalogisieren, was in den Tumorzellen auf Ebene der DNA, RNA, Epigenetik und Proteine passiert. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz soll anschließend helfen, neue Angriffspunkte für gezielte Kombinationstherapien zu identifizieren. Dazu bündelt der Forschungsverbund die einschlägige Expertise von Wissenschaftler:innen der Charité, des Berlin Institute of Health in der Charité (BIH), des Max Delbrück Centers, der Universität zu Köln, der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU), der Eberhard Karls Universität Tübingen sowie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ).
Prof. Eggert ist überzeugt, dass eine interdisziplinäre und institutionsübergreifende Herangehensweise, die hohe klinische und wissenschaftliche Expertise, aber auch technologische und datenwissenschaftliche Innovation vereint, der vielversprechendste Ansatz ist, um neue Therapiestrategien zu entwickeln – für das Neuroblastom, aber auch andere komplexe Krankheitsbilder.