Im Fall des mutmaßlichen Pädokriminellen Shahriar J. alias "White Tiger" verdichten sich Hinweise auf Ermittlungspannen der Hamburger Behörden. Jetzt macht ein früherer FBI-Beamter den Deutschen schwere Vorwürfe. Ex-Ermittler Pat McMonigle sagte dem "Spiegel", seine Hamburger Kollegen hätten es versäumt, den Beschuldigten J. zeitnah zu verhaften. "Es hat uns verrückt gemacht, dass wir ihnen all diese Beweismittel geliefert haben und er trotzdem nicht festgenommen wurde", so McMonigle. McMonigle arbeitete fast 20 Jahre lang für das FBI. Vor drei Jahren enttarnte er zusammen mit seinem FBI-Partner den damaligen Hamburger Oberstufenschüler Shahriar J. als mutmaßlichen Gewaltverbrecher, der sich im Netz "White Tiger" nannte. J. gilt als Kopf des Online-Netzwerks "764".
Mitglieder der Gruppe verleiten im Internet labile Kinder und Teenager zu fürchterlichen Taten gegen sich selbst oder andere. Die Geschädigten müssen sich dabei filmen, die Aufnahmen werden von ihren Peinigern in Chatgruppen geteilt. Die US-Ermittler machten Shahriar J. früh für sadistische Taten verantwortlich. Unter anderem soll J. 2022 einen 13-Jährigen aus der Nähe von Seattle in den Selbstmord getrieben haben. J. war damals erst 17 Jahre alt. Andere Opfer setzte der Hamburger offenbar so unter Druck, dass sie sich etwa an den Genitalien mit Messern verletzten. Bereits bei einem Treffen in Hamburg im Februar 2023 informierte McMonigle das Landeskriminalamt (LKA) über die Identität des "White Tiger". Erst sieben Monate später durchsuchten die Behörden zum ersten Mal das Zuhause von J. Wiederum ein Jahr später lag die Auswertung der sichergestellten Datenträger vor. Vor einigen Wochen wurde Shahriar J. schließlich verhaftet, fast zweieinhalb Jahre nach dem Besuch der FBI-Leute.
Vorgeworfen werden ihm Mord sowie weitere schwere Gewaltdelikte. Ständig habe er sich in der Zwischenzeit Sorgen gemacht, dass "White Tiger" immer noch Opfer jage, sagte McMonigle. "Wie viele Kinder hat er dazu gebracht, schreckliche Dinge zu tun" Auch nach dem Treffen in Hamburg habe er regelmäßig weiteres Beweismaterial nach Deutschland übermittelt - etwa Belege für offensichtliche Gewalttaten gegen Minderjährige, darunter ein Mädchen aus Hamburg. Im vergangenen Jahr quittierte McMonigle seinen FBI-Dienst. Die Ermittlungen, insbesondere zum "White Tiger", belasteten ihn zu sehr. Die Hamburger Staatsanwaltschaft teilte auf Anfrage des Nachrichtenmagazins mit, einen konkreten Mordverdacht habe es nach dem FBI-Besuch 2023 noch nicht gegeben. Die Herleitung des rechtlich "höchst komplexen" Vorwurfs habe viel Zeit in Anspruch genommen. Es hätten Opfer vernommen werden müssen, eine genaue Auswertung von Chats und Videos sei nötig gewesen.
Außerdem hätten vom FBI übergebene Dokumente "mit teilweise unsortierten Informationen keine Quellenangaben beziehungsweise belastbaren Belege" enthalten. Ex-FBI-Mann McMonigle sagte, er habe den deutschen Kollegen spätestens im März 2023 das Suizid-Video samt relevanter Chats übersandt. Hinzu kommt: Shahriar J. war in Hamburg kein Unbekannter. Bereits im Sommer 2021 bekam das LKA einen Bericht einer Kinderschutzorganisation aus den USA, dass ein Nutzer namens "White Tiger" jugendpornografische Schriften verbreitete. Opfer waren zwei minderjährige Mädchen. Wie die "Zeit" berichtete, enthielt das US-Dossier schon damals Chats, in denen der Deutsch-Iraner eine Betroffene dazu drängte, sich selbst zu verletzen. Als das Mädchen Suizidgedanken äußerte, soll Shahriar J. sie bestärkt haben.
Das Verfahren gegen J. in diesem Fall wurde noch 2021 von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Nach Informationen des "Spiegel" soll Shahriar J. die Mädchen danach weiter schwer missbraucht haben. Beide Fälle sind heute Teil des Haftbefehls gegen J. Die Rechtsanwältin von Shahriar J. sagte dem "Spiegel", dass ihr Mandat die Vorwürfe bestreite. Für J. gelte die Unschuldsvermutung.